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Rot oder Weiß
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Rot oder Weiß

Das Geheimnis der Kameliendame

Kennen Sie Frau Plessis?

Ich auch nicht – bis  vor kurzem. Da stolperte ich beinahe in eine wunderbare Blüte an einem Strauch im Braunschweiger Botanischen Garten (als der wegen gerade mal wieder sinkender Inzidenzzahlen ausnahmsweise geöffnet wurde). Gut, dass ich mich, fast im Fallen, gerade noch fangen konnte: Nicht auszudenken, was meiner Versicherung dazu eingefallen wäre, wenn ich eine der sauteuren Scheiben des Tropenhauses im Sturz zerdeppert hätte. 

Da sie (die Tropenhaus-Scheibe) aber gottlob noch nicht blitzeblank geputzt und gewienert war an diesem Tag, kamen ich, die Versicherung und die Scheibe dank etlicher Flecken, verursacht durch die Nasen kleiner und großer Besucher und Bewunderer jener, übrigens blutroten Blüte, noch einmal mit dem Schrecken davon. Besser noch: Mir gelang ein fotografischer „Schnappschuss“ der roten Schönen durch eine saubere Lücke zwischen den neugierigen Nasenflecken. Weil der Botanische Garten der Technischen Universität Braunschweig ordnungsliebend ist, erfuhr ich sogar von einem Namensschildchen an einem Ast des Rote-Blüten-Strauches wie der Strauch mit den Blüten, die mich an menschlichen Lebenssaft, also Blut, erinnerte von Floristen und vor allem Botanikern richtig angesprochen wird.

Heißt das Bäumchen vielleicht „Frau Plessis“? Aber nicht doch.

Wissenschaftlich korrekt handelt es sich um eine

Theaceae Camellia japonica

Wir Menschen ohne sonderlich grüne Daumen nennen sie, ohne dass sich die feine Dame desavouiert abwendet:

Kamelie

Aber das wussten Sie wahrscheinlich längst schon. Was hat unsere hübsche Kamelie, die von weither aus geheimnisumwitterten ostasiatischen Loorbeerwäldern stammt und ihre Karriere in der Welt des Adels in chinesischen und japanischen Gärten als beliebter Zierstrauch begann. Bei Hof- und Teezeremonien ging damals schon mal gar nix ohne die edle Rote Ihre weißen und roten einfachen Variationen galten im fernen Osten als Symbole für Freundschaft, Eleganz und Harmonie.

Tsubaki – Bluttropfen im Schnee

In Japan, wo die Kamelie, wer hätte das gedacht!, nicht etwa Kamelie, sondern irgendwie typisch nipponesisch tsubaki (jap. 椿) genannt wird, hat sie eine weitere symbolische und romantisch-dramatische Bedeutung. Weil die Kamelie ihre roten Blütenblätter einzeln verliert, während noch Schnee liegt, erinnerte das die alten Nipponesen genüsslich gruselnd an Blutstropfen. Was liegt für den Japaner mit Feingefühl und Sinn für Esoterisches näher als die Blüte, aber nur die rote, auch zum Symbol von Tod und Vergänglichkeit zu verfeinern.

Mit dem letzteren kleinen Ausflug in die Kulturgeschichte kommen wir der mysteriösen Frau Plessis und ihrer Liebe (nicht nur) zur Welt der Blüten, vor allem der weißen und roten der Camellia japonika, übrigens schon näher. Doch dazu später mehr.

Warum heißt die wunderschöne Tsubaki, die für Tod und Verwesung ebenso herhalten muss wie für Freundschaft in eleganter Harmonie – bei uns in Europa seit Menschengedenken  Kamelie? Meine erste Vermutung, man habe von der originalen „Tsubaki“ Abstand genommen, weil sie doch leicht und verwirrend leicht mit dem sintflutartigen „Tsunami“ verwechselt werden könnte, erwies sich als blumiger Holzweg, der in einer semantischen Sackgasse endete.

Und mit der urgesunden Kamille hat unsere Kamelie ebensowenig zu tun wie mit einem fast namensgleichen Hygieneartikel für Damen. 

Natürlich mal wieder der alte Schwede

Taufpate für die Kamelie in unseren heimischen Breitegraden war – wieder einmal Carl von Linné -, alter Schwede! Der Universalgelehrte, unfehlbarer Botanik-Papst und Namensgeber nicht nur für Florales, sondern gleichermaßen für zoologische Erdenbewohner, gab dem Teebaumgewächs im Jahr 1753 den seither unveränderten wissenschaftlich gefestigten Namen: Camellia japonica. Er machte damit nicht seiner Zeit vorgreifen für eine US-amerikanische Zigarettenname Werbung, sondern ehrte  Georg Joseph Kamel, einen Jesuitenpater und Apotheker aus Mähren,  der in Manila gearbeitet und ein Heute mehr oder weniger in Vergessenheit geratenes Buch über die Insel Luzon, die größte Inselgruppe der  7.641 Eilande des Philippinischen Inselstaates veröffentlicht hatte.

Aber was hat all das mit der Madame Plessis zu schaffen, die meiner kleinen Exkursion durch die Jahrhunderte den ein wenig rätselhaften Titel gab?

Marie Duplessis bei Theaterbesuch

Für diejenigen unter uns die nicht eh schon wussten, wohin ich in meiner immer ein wenig umständlichen Art die Leserinnen und Leser mitnehmen will, ein letzter weiterer Hinweis. Für die Liebhaber der leichteren Lektüre des 19. Jahrhunderts ist Alphonsine Plessis, so der vollständige, am 15. Januar 1824 in das Standesamt eines Dorfes in der Normandie eingetragene Name unserer Titelheldin, die als tragische Figur sowohl eines Romans als auch einer Oper weltberühmt wurde. 

Mademoiselle Plessis, verdiente zunächst ihren Lebensunterhalt als Wäscherin und Putzmacherin in Paris und machte dann Karriere als Sexarbeiterin, als Edelprostituierte, im Paris des 19. Jahrhunderts euphemistisch zur „Kurtisane“ veredelt. Den Spitznamen „La Dame aux camélias“, Die Kameliendame, verdankte sie ihrem „Markenzeichen“, mit dem sie berühmt wurde. 

Marie Duplessis – so nannte Alphonsine sich mittlerweile, wahrscheinlich um sich einen Hauch von Adel zu verleihen, ließ sich von ihren Kunden gern auch mal ein Blümchen schenken . Aber nicht etwa so etwas ordinären wie ein Veilchen oder eine Nelke: Es musste eine Kamelienblüte sein, und die trug sie dann für jeden sichtbar im üppigen Dekolleté

Kurtisanen-Marketing

Auch dieser auf den ersten Blick modische Gag war Teil ihres Marketings. Meist sah man sie nämlich mit einer weißen Blüte; nur an wenigen Tagen im Monat wurde sie durch eine blutrote Kamelienblüte ersetzt – warum? Die Farbe der Kamelie an Maries üppigen Busen signalisierte ihren Kunden und Liebhabern, wann das Objekt ihrer Begierde seine Periode hatte: unübersehbar an Tagen mit der roten Blume.

Von der Edelhure zur literarischen und musikalischen Hauptrolle wurde Marie Duplessis durch Liebhaber und Kunden, die zur kulturellen Hautevolee gehörten, Unter anderem  Alexandre Dumas d. J. und Franz Liszt. Dumas gelang es mit seinem Roman „Die Kameliendame“ endgültig, aus dem Schatten des vor allem durch die Romane „Der Graf von Monte Christo“ und „Die drei Musketiere“ bekannten Vaters herauszutreten. Im Roan wurde aus Marie Duplessis Marguerite Gautier. Für Liszt war die Schöne mit der Kamelienblüte lediglich eine seiner zahlreichen Liebschaften.

Dem italienischen Komponisten Giuseppe Verdi gefiel der Plot der Kameliendame aus der Feder Dumas‘ so gut, dass er ihn zu einer seiner bekanntesten Opern machte: „La Traviata“ („Die vom Weg Abgekommene“) Bei Verdi wird aus der Original-Kameliendame Marie Duplessis und der Prostituierten Marguerite Gautier im Roman von Dumas d.J. die Kurtisane Violetta Valéry.

Verdis Violetta auf der Opernbühne und die Marguerite Gautier im Roman erleiden übrigens dasselbe Schicksal wie die „echte“ Alphonsine Plessis: Sie sterben höchst dramatisch an Tuberkulose – mit nur 23 Jahren. 

©️ 2022 Jos van Aken

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