Erbauliches zum Frühling
Podcast von und mit Jos van Aken
Transkription des Videos
Nie mehr ohne Gummi
Veronica, der Lenz ist da – auch bekannt und geschätzt als: Frühling, spring, lente , printemps, primavera. Und der macht sich, mehr oder weniger: hier bei mir in der norddeutschen Tiefebene ebenso wie in London, Amsterdam , Paris oder Rom. Alles wächst, blüht, grünt und sorgt für die berühmten, ach, was sage ich: notorischen, um nicht zu sagen berüchtigten Frühlingsgefühle.
Denen entkommt kein Lebewesen solange sich in ihm noch ein kleines bisschen Leben regt. Keine Bange, die ohnehin sattsam bekannten Einzelheiten erspare ich uns. Nur soviel: Auch ich erliege regelmäßig den mit der erwachenden Natur verknüpften Empfindungen und Erlebnissen.
Beamte kennen keine Frühjahrsmüdigkeit
An dieser Stelle nur mal ein Beispiel: Immer spürbarer wird ohne Zweifel seit Beginn der unaufhaltbaren Reifung meines alternden Körpers und Geistes die nicht nur Beamte in ihren Amtsstuben hinterrücks überwältigende Frühjahrsmüdigkeit – unvoreingenommene Behörden-Kunden wollen gar beobachtet haben, dass – unabhängig von der Besoldungsstufe – begabte Büroschläfer dieses unabdingbare Alleinstellungsmerkmal ihres Berufsstandes mühelos auf sämtliche nicht erst von Herrn Vivaldi erfundenen Vier Jahreszeiten auszudehnen in der Lage sind. Lediglich in der fünften Jahreszeit (zwischen Altweiberfastnacht und Aschermittwoch) sollen, vorzugsweise in der rheinischen Region, Behördenbedienstete hellwach, wenn auch wankend und torkelnd, während der Dienstzeit gesichtet worden sein – aber natürliceh nicht „im Amt“.
Frühjahrsmüdigkeit ist eben auch nicht mehr das, was sie mal war.
Was mich betrifft, habe ich die „Frühjahrsmüdigkeit“ samt komatöser Tagschlafphasen gänzlich aus meinem Kalender gestrichen. Diversen Zipperlein und dem Alter geschuldet habe ich eingesehen, dass Nachtschlaf wohl doch überbewertet wird – nicht nur im Frühjahr. Wenn ich es mir recht überlege, gäbe ich mittlerweile vielleicht sogar einen passablen Schreibtisch-Schläfer ab – ziehe dann aber doch die heimische Couch mit der Aussicht auf Kaffee und Kuchen vor -(wenn ich zwischendurch mal wach werde)
Genu’g gegähnt einstweilen..
Frische Pflanzen braucht der Frühling
Das erwachende Jahr hat mehr zu bieten als Schlaf. Das Bepflanzen der Fensterbänke, Balkonkästen und Blumen-Ampeln ist jetzt ein absolutes Muss, Ich will jetzt gar nicht von Stiefmütterchen in allen Farbvarianten, Geranien und Veilchen reden, Ich bin alle Jahre wieder vielmehr gespannt, welche Grünen oder bunten Außenseiter meine Frau von ihren Expeditionen in das Gartencenter unseres Vertrauens triumphierend mit nach Hause bringt.
Dieses Mal hatte ich ein Déjavu. Klein war das Gewächs, das meine Liebste mir stolz präsentierte, sehr klein – noch verhüllt mit dem Packpapier der Großgärtnerei.
Ein kleiner grüner Kaktus, der raus will auf den Balkon und nichts im Sinn hat als stechen, stechen, stechen? Ich mag die (Original-)Komödiantischen Harmonisten und ihren widerspenstigen immergrünen Stechling. Aber bislang gehörten Sukkulenten und ihre bekanntesten Repäsentanten, eben jene Kakteen (ich persönlüch bevorzüge den Plüral „Kaktüsse“) eher weniger zu unseren grünen Beuteschema.
Nein, unter dem Transport-Papier verbarg sich kein wehrhafter Knirps mit eingebautem Saftladen (so ähnlich darf man den Begriff „Sukkulent“ eindeutschen). Es war (und ist immer noch) ein
Kleiner grüner Ficus
Um halbwegs zu verstehen, warum ich bei der stolzen Präsentation unseres neuen veganen Hausgenossens zunächst einige Mühe hatte, meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten, sollte man spätestens Anfang der 50er Jahre das Licht der Welt erblickt haben. Nur dann kennt man ihn noch, den unbändigen Stolz jeder Wirtschaftswunder-Hausfrau, eben jenes Mitglied der großen Familie der Maulbeergewächse, einer der zumindest damals prominentesten Vertreter der Feigen-Gattung, botanisch korrekt als „Ficus elastica“ bezeichnet.
Ich weiß bis heute (also gut 70 Jahre später) nicht, ob die unkaputtbare Liebe meiner Mutter und ihrer Kaffeekränzchen-Freundinnen damals bereits eine echte „grüne Wurzel“ hatte – oder doch eher einem der damaligen Statussymbole des keimenden Wirtschaftswunder galt. Ich bin heute jedenfalls noch zutiefst dankbar, dass mir in jenen frühen Jahren nicht eine derartige Fürsorge zuteil wurde wie dem mit Argusaugen kontrollierte und ständig mit irgendwelchen Essenzen einer Blattpflege unterzogenen „Gummibaum“. Ich kann mich übrigens – mit einer gewissen Schadenfreude (die reinste aller Freuden bekanntlich) nicht an einen einzige Ficus elastica erinnern, der die geradezu manischen Pflegepraktiken meiner Mutter überlebt hätte.
Der Gummibaum ist gar keiner
Bekannt ist die „verformbare Feige“ (noch ein Versuch, mit meinen alles andere als perfekten Latein-Kenntnissen Punkte beim Bildungsbürgertum zu machen) auch als „Indischer Kautschukbaum“ oder – ebensowenig wirklich treffend – als „Gummibaum“. Den Latex-Milchsaft hat der Ficus zwar auch in sich, wirtschaftlich vertretbar gezapft wird es aber aus dem Hevea brasiliensis. Und der wiederum ist mit unserem Ficus weder verwandt noch verschwägert. Der „Gummibaum“ ist also eigentlich gar keiner.
Der Gummibaum der 50er und 60er Jahre, der entweder in der hintersten Zimmerecke mangels Lichtnahrung einen grausigen Tod fand – oder aber im prallen Sonnenlicht an einem Sonnenbrand (als dritte Hinrichtungsmethode hat sich das Ersäufen in allzu gut gemeinten Gießwasserströmen bewährt) galt uns aufmüpfigen „jungen Wilden“ als grünes Wahrzeichen des Spießertums.
Wir ersetzten ihn dann konsequent und radikal durch – den „Benjamini“, einen nahen Verwandten des uns verhassten Gummibaums. Wir merkten natürlich in unserer jugendlichen Hybris nicht, dass wir „68er“, die ja (fast) „alles anders machen“ wollten, mit der nepalesischen Birkenfeige, dem Ficus Benjamina“, dem zimmerpflanzlichen Ideal unserer Mütter nichts ahnend, aber eifrig nacheiferten: Mit ähnlichen gärtnerischen „Erfolgserlebnissen“ übrigens: Die nepalesischen Benjamini erwiesen sich als fast noch zickiger als ihre aus Indien stammenden Cousinen. Wer noch einen Rest von klarem Verstand hatte, verzichtete dann vernünftigerweise auf Versuche mit Zimmerlinden.
Adoptieren ?
All das ging mir in der ersten Schrecksekunde beim Einzug unserer neuen Zimmerpflanze durch den Kopf. Und dann sah ich ihn an, den Winzling mit seinen unvergleichlich grünen, rosig geäderten Blättern und einem noch in ein knallrotes Scheinblatt eingewickelten neuen Trieb – und ich verliebte mich auf der Stelle.
Mittlerweile denken wir darüber nach, den Knirps zu adoptieren. Ein solcher Schritt will aber wohl überlegt sein. So ist ja unter anderem damit zu rechnen, dass das Kerlchen uns schon bald weit über den Kopf wachsen würde – und dass er möglicherweise noch in jungen, ungestümen Jahren – seinen, nicht unseren, tiefsten Trieben erliegt.
Ungeklärt ist zum Beispiel die Frage, ob die elastischen Feigen in die Pubertät kommen und wenn ja, wie sich sich dann verhalten. In freier Wildbahn nämlich, also in den Urwäldern des indischen Halbkontinents jedenfalls, erreichen unsere netten Zimmer-Gummibäume locker Höhen von 40 bis 60 Metern und bis zu zwei Metern Stammdurchmesser. Bekannt sind sie dort als „Würger-Feigen“. Im Kampf ums Überleben entwickelt unser Gummibäumchen in seiner natürlichen Umgebung meist als zunächst harmloser Schmarotzer auf anderen Bäumen, macht seiner Wirtspflanze dann aber den Würge-Garaus.
Aber was soll’s. Vorerst haben wir beschlossen, den kleinen in die Familie aufzunehmen. Wir verkünden deshalb stolz: We are family – Na ja: Pflege-Family erst mal.
©️ 2021 Jos van Aken